Helmut Newton: eine Hommage – DW – 31.10.2021 (2024)

Er war einer der einflussreichsten Fotografen des 20. Jahrhunderts, Flüchtling und Superstar, gefeierter Porträtist des Bundeskanzlers und geschmähter Aktfotograf: Am 31. Oktober 1920kamHelmut Newtonin Berlin auf die Welt.

Jubiläumsausstellung in seiner Geburtsstadt Berlin

Genau dort feiert die BerlinerHelmut Newton Foundationden 100. Geburtstag des Fotografen nun mit einer umfassenden Werkschau - wegen der Corona-Pandemie startet die Ausstellung "HelmutNewton. Legacy" genau ein Jahr später.Vom 31.10.2021 bis zum 22.05.2022 sind im Museum für Fotografie rund 300 Werke aus sechs Jahrzehnten zu sehen. Etwa die Hälfte der Fotos aus dem rund eine halbe Million belichtete Bilder umfassenden Bestand werden zum ersten Mal gezeigt.

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Zeitgleich erscheint im Taschen-Verlag auch die umfangreiche Monografie "Helmut Newton. Legacy". Siepräsentiert Highlights und Wiederentdeckungen eines fotografischen Œuvres, das als eines der meistveröffentlichten aller Zeiten gilt. Für die Neuveröffentlichung wurde das Archiv komplett gesichtetund tausende Kontaktabzüge entdeckt, auf denen sich Markierungen finden, die auf Newtons persönliche Auswahl verweisen. Ausgewählte Notizbücher mit seinen Bildideen, Polaroids und Kontaktbögen sind darinerstmals zu sehen, soDr. Matthias Harder, Direktor der Helmut Newton Foundationsowie Herausgeber und Autor des Buches.

BeruflicheAnfänge als Mode- und Porträtfotograf

Schon seinen Eltern machtes Helmut Neustädter, wie Newton eigentlich hieß, nicht leicht. Obwohl der behütet aufgewachsene Junge das Gymnasium besucht, entscheidet er sich früh dazu, Fotograf zu werden. Gegen den Willen seines wohlhabenden Vaters, eines Knopffabrikanten, geht der 16-Jährige Helmut 1936 bei der erfolgreichen Modefotografin Yva (bürgerlicher Name: Else Ernestine Neuländer-Simon) in Lehre. Als es nur zwei Jahre späterzu den vom Nazi-Regime organisierten Novemberpogromen kommt, flieht der jüdisch-stämmige Fotograf mit zwei Kameras im Gepäck über Singapur nach Australien. Seine Eltern wird er nie wieder sehen.

In Australien arbeitet Helmut Neustädterzunächst fünf Jahre als einfacher Soldat und Lastwagenfahrer für die Armee. Dann eröffnet Newton, wie er sich jetzt nennt, ein kleines Fotostudio in Melbourne. 1947 lernt er dort die Schauspielerin June Brunell kennen, ein Jahr später heiraten die beiden. Und auchberuflich werden sie unzertrennlich: In der Ausstellung "HelmutNewton. Legacy" ist June Newton ein eigener Raum gewidmet, siefotografierte unterdem PseudonymAlice Springs.

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Helmut Newtons Porträt- und Modefotografie wird immer gefragter, er reist in den 1950er Jahren viel durch Europa, arbeitet neben anderen Magazinen für die britische, australische und schließlich 1961 auch für die französische Modezeitschrift "Vogue".

Zu der Zeit ist Newton zwar ein erfolgreicher Werbe-, Porträt- und Modefotograf, aber noch nicht die Ikone, als die er später berühmt werden sollte. "Bevor er den jungen Dingern die Kleidung auszog", resümierte Ehefrau June 2016, "war er ein Modefotograf, ein Bildermacher, den man mieten konnte. Diese ganze Nacktheit, für die man ihn heute kennt, das kam erst viel später."

Mit derAktfotografie kommtWeltruhm - und Kritik

Die von June angesprocheneentscheidende Erweiterung von Newtons Werken kommt in den 1970erJahren. Die sexuelle Revolution im Rücken, wendet sich Newton vermehrt der Aktfotografie zu und inszeniert seine Modelle dabei in einer Ambivalenz, die bis heute für Polarisierung sorgt.

Auf der einen Seite erscheinen seine Fotomodelle als selbstbestimmte, machtvolle Ikonen: große und starke Frauen, in Schwarz-Weiß eingefangen und mit harten Schatten versehen. Aus seiner Bewunderung für Leni Riefenstahl machtNewton nie einen Hehl.

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Gleichzeitig erzählen seine Bilderauch immer wieder Geschichten von weiblicher Unterwerfung. Newton liefere einer verunsicherten Männerwelt einen neu geschärften Blick auf die erstarkenden Frauen, warf ihm deshalb die Feministin Alice Schwarzer vor: "Eine schwache Frau unterwerfen - wie uninteressant. Eine starke Frau brechen - echt scharf."

"Big Nudes" und andere Projekte: Zeitlose Fotografien entlarven Betrachter

Newtons Arbeiten lotenim Zusammenhang mit nackten Körpern immer wieder das Spiel von Macht und Verführung aus. Die Geschichte hinter seinem bekanntesten Fotoprojekt"Big Nudes"(großformatige Nacktbilder) zeigt, dass er sich nicht um Konventionen seiner Zeit schert: Inspiriert von Berichten der lebensgroß aufgezogenen Aufnahmen von Mitgliedern der Roten-Armee-Fraktion (RAF) in den Räumen einer Anti-Terror-Einheit, beginnt er 1982 unter dem Arbeitstitel "The Terrorists"damit, frontale und leicht untersichtige Aufnahmen von martialisch stilisierten Frauenkörpern zu machen. Die überlebensgroße Präsentation der Nacktbilder wird als neuer Einfall begeistert aufgenommen.

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Die eigentliche Genialität Newtons liegtwohl darin, dass sich seine Fotografien einer eindeutigen Einordnung verweigern: Ausbeutung und Emanzipation, Voyeurismus und Erotik, Unterwerfung und Macht liegen eng beieinander. Häufig ist nicht klar, wo die Wirklichkeit endetund die Inszenierung beginnt.

Superstar unter den Fotografen

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Newton, der seine Unangepasstheit und Gleichgültigkeit schon früh kultiviert, kommenDiskussionen über seine Fotografien geraderecht. Er ist zum Superstar unter den Fotografen aufgestiegen, lebtmittlerweile in Monaco und Hollywood. Zwischenzeitlich sollen seine Tagessätze bei 10.000 Mark gelegen haben. Er porträtiert Musikgrößen wie David Bowie und Mick Jagger ebenso wie die Filmdiven Anita Ekberg und Catherine Deneuve, aber auch den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Als der begeisterte Sammler von Luxuswagen am 23. Januar 2004 im Alter von 83 Jahren bei einem Autounfall in Los Angeles ums Leben kommt, ist die Bestürzung und Anteilnahme weltweit groß. Beim Trauerzug zum Ehrengrab von Newton in Berlin wird die Witwe June von Berlins damaligem RegierendenBürgermeister Klaus Wowereit und Bundeskanzler Schröder begleitet.

Wenige Monate zuvor hatte Newton seine Werke der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin vermacht. Deutschland habe er nie vermisst, sagte Newton einmal.Berlin aber schon.

100 Jahre Modefotografie

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